Realität und Wirklichkeit

Realität ist der objektive Teil der Wirklichkeit, das was für alle Menschen in gleicher Weise gültig ist. Individuelles, Einmaliges, Kreatives usw. fällt da raus. Wirklichkeit ist aber immer mehr als wir rational erfassen können.

 

Nach der alten Vorstellung ist die Welt da draußen das, was wir wahrnehmen. Und das ist hauptsächlich Materie. Deshalb nennen wir die Welt Realität (von lat. res = Ding), die dingliche Welt: etwas, das wir be-greifen und besitzen können. Für die Anordnung der Materie in der Zeit gelten strenge Naturgesetze, daher können wir voraussagen, was kommen wird und berechnen, was in der Vergangenheit war. Daher drängte sich der Eindruck auf, wir könnten die Welt prinzipiell „in den Griff“ bekommen. Leider hat sich beides bereits als prinzipiell falsch erwiesen. Voraussagen ist nicht möglich, und wir werden daher auch nie alles „in den Griff“ bekommen.

Denn die moderne Physik (ab etwa 1900) hat gezeigt, dass es im Hintergrund völlig anders ist. Davor waren die Physiker der Meinung, wenn sie einmal die kleinsten „Bausteine“ der Welt erfasst hätten, dann wüssten sie, woraus die Welt aufgebaut ist – bis hin zum menschlichen Gehirn, so dass sie dann „alles“ erklären könnten.

Die kleinsten Bausteine sind Illusion, Materie ist nicht materiell

Allerdings kam dann die Quantenmechanik und die schmerzliche Erkenntnis, dass es solche kleinsten Bausteine leider gar nicht gib, nicht geben kann. Die Naturwissenschaft war damit auch an einem Punkt angelangt, wo sie die Annahme, dass sie einmal alles genau wissen wird, aufgeben musste und dass sie eine Sprache verwenden muss, die dem bisherigen Denken nicht zugänglich ist.

Im Grunde ist Materie nicht materiell, sagt Hans-Peter Dürr. Es gibt keine kleinsten „Teilchen“ der Materie, es gibt nur eine Beziehungsstruktur – bloße Beziehung und nicht Beziehung von etwas. „Die Frage, was ist und was existiert, kann nicht mehr gestellt werden. Es bleibt nur die Frage, was passiert und was bindet – und nicht was Teile verbindet.“ Ein völlig ungewohntes und schwer zugängliches Denken. Es gibt demnach gewisse Fragen, die nicht zu beantworten sind, nicht weil wir noch nicht genug wissen, sondern weil es darauf prinzipiell keine Antwort gibt. 

Gemeint ist: Die Welt ist nicht immateriell, sondern a-materiell. Die Frage nach der Materie ist sinnlos geworden. So wie die Frage: Welche Farbe hat ein Kreis? Der gemalte Kreis hat eine Farbe, aber diese ist nicht Eigenschaft des Kreises. Wer mit dem Handy mit Paris telefoniert, so Hans-Peter Dürr, macht etwas völlig A-Materielles. Wir reden von „Wellen“, weil wir uns das irgendwie vorstellen müssen. Für das, was wir Wellen nennen, bräuchte es aber ein Medium – Wasser für Wasserwellen, Luft für Tonschwingungen. Für unsere Handy-Wellen gibt es aber kein Medium. Deshalb wurde ja einmal der Äther als Medium angenommen; leider hat Einstein dem den Boden entzogen: Es gibt keinen Äther. Damit auch kein Medium für unsere Handy-Wellen und daher überhaupt keine „Handy-Wellen“, sondern etwas, das wir uns eben nicht vorstellen können.

Gestaltstrukturen im Nichts

Diese „Schwingungen“ sind – da es keinen Äther gibt – nur „Dellen im Nichts“, die aber auch in Paris wahrgenommen werden. So beschreibt es Hans-Peter Dürr. Es geht nicht um Schwingungen, sondern um eine reine Gestaltstruktur, die nicht an einem bestimmten Ort lokalisiert werden kann. Die Lokalisierung, das Materielle spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr. Die Frage, wo diese Gestaltstruktur ist, ergibt keinen Sinn, sie ist quasi über das ganze Weltall ausgebreitet. Es gibt keine Teilchen oder Wellen an einem bestimmten Ort.

Die Wirklichkeit ist nicht Realität, sondern Potenzialität, die sich energetisch und materiell manifestieren kann. (Auch das esoterische Gerede von: „Es gibt keine Materie, sondern nur Schwingungen, alles ist Energie“, ist blanker Unsinn. Materie und Welle ist dasselbe, und dahinter ist etwas ganz Anderes, Unvorstellbares). Wirklichkeit ist nicht räumlich lokalisiert. Es gibt nur das Eine, das Ganz-Eine, etwas, das man gar nicht aufteilen kann. Eine Fragmentierung ist gar nicht möglich.

Das hat Konsequenzen sogar im täglichen Leben, so Dürr: „Wir alle, die wir in diesem Raum sitzen, sind wohl unterschiedlich, aber nicht getrennt. Wir sind alle in einer Gemeinsamkeit, und das ist eine wesentliche Voraussetzung, dass wir überhaupt miteinander kommunizieren können.“ Das heißt, auch wir Menschen sind ein Ganzes, wir können uns als Einzelne gar nicht isolieren. Das Ganze ist die Wirklichkeit, von der alles abhängt, die Teile sind nur in unserem (rationalen) Denken isoliert. Was wiederum heißt, dass die Sprache der Religionen der Wirklichkeit näher kommt als unsere rationale, aufgeklärte Alltagssprache.

 

Bildnachweis: RH

Published on Newsgrape on 2011-09-19 08:07:16

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Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“