Plädoyer für mehr Menschlichkeit

Bevor wir uns gegenseitig die Schädel einschlagen – Egoisten und andere Egoisten, Atheisten und Gläubige, Gläubige und Andersgläubige, fundamentalistische Islamisten und fundamentalistische Christen usw. – könnten wir uns doch auch darauf besinnen, dass wir alle Menschen sind…

 

Die Welt ist voller Kriegsschauplätze – müßig, sie alle aufzuzählen. Sogar die Amerikaner wissen seit 9/11, dass es keiner Zugbrücke über die Weltmeere bedarf, die sie bisher abgeschottet haben. In Europa leben wir seit einem halben Jahrhundert im Frieden, aber manche brauchen Fußballplätze, U-Bahnen oder ähnliches, um wenigstens hier Unfrieden zu stiften. Für rechte Recken ist das Paintball-Spielen unmodern geworden, stattdessen tummeln sie sich in Internet-Foren und betätigen sich als Kampf-Poster, um wenigstens hier Krieg gegen Moslems, Linke, Grüne oder sonst Andersgläubige zu führen.

Oder sie demonstrieren – sogar mit dem Kreuz in der Hand – gegen Moscheen und Kulturzentren. Moderaten und normal Denkenden kommt das Grausen. Anscheinend brauchen wir Krieg – um von uns selbst und der eigenen Behinderung abzulenken, die eigene Leere zu füllen, den starken Mann zu spielen oder was auch immer.

Welcher Geist muss einem reiten, um ein Fußballstadion in ein Schlachtfeld zu verwandeln? Welch morsche Gedanken müssen dazu führen, dass man religiösen Einrichtungen, Minaretts und Büchern (Koran) den Kampf ansagen muss?

Dabei wird regelmäßig eines übersehen: dass nämlich auf der anderen Seite immer auch Menschen stehen. Manche im Stadion wollen einfach Fußballspielen oder zusehen, manche sind Fans eines anderen Clubs. Auch das sind Menschen. Nach der unseligen Anti-Minarett-Abstimmung in der Schweiz haben Analysen ergeben, dass im Osten der Schweiz die überwiegende Mehrheit gegen Minaretts war – also in jenen Gegenden, in denen man kaum Moslems zu Gesicht bekommt. Im Westen, wo viele Moslems leben, war bekannt, dass das auch Menschen sind, und da war die Mehrheit für die Minaretts.

In Wien kämpfen Bürgerinitiativen gegen Moslems – pardon, gegen den Lärm, den diese machen werden – und lassen sich die Homepage von der FPÖ finanzieren, die solche Demonstrationen gleich dazu missbraucht, Werbung für ihre kleinformatigen Ideen, gegen Ausländer und für das, was (nur) sie christliche Kultur nennen, zu machen. Wer Hass schürt, macht auf sich aufmerksam, spielt mit der Angst der Leute – und wird zu schlechter Letzt auch noch gewählt.

Im 15. Bezirk leben dagegen Christen und Moslems friedlich nicht nur nebeneinander, sondern sogar miteinander. Moslems kommen zu den christlichen, Christen zu den muslimischen Festen, man kennt einander und hat entdeckt, dass die jeweils anderen auch Menschen sind, die hier friedlich leben wollen. Solche Beispiele gibt es im ganzen christlichen Europa, wenngleich das immer nur Inseln sind – Strache, LePen, Wilders und Konsorten sei‘s gedankt.

Besonders beschämend wird es, wenn sich sogenannte Christen am Krieg gegen Moslems (als wären alle Islamisten), gegen andere Religionen und Kulturen beteiligen und sich mit den rechten Brüdern kurzschließen. Dabei hat das 2. Vatikanische Konzil genau das bereits überwunden und die Achtung vor den anderen Religionen ausgesprochen, in denen die Wahrheit ebenfalls durchscheint. (An „Wir sind Kirche“): Manchmal ist die Basis konservativer als die Amtskirche.

Die heute zum Kirchen-Bashing ausartende Kirchenkritik könnte auch menschlicher ausfallen. Die Kirche ist kein Verein von Heiligen, zumindest nicht in dem Sinn, wie das eigenartigerweise gerade die Kritiker fordern. Sie war und ist immer Abbild der Gesellschaft. Es gibt auch andere Antworten auf die komplexe Misere der Kirche: Einer, der die Kirche durchaus kritisiert, hat sich unlängst zum Priester weihen lassen.

Dass Kirchenkritik nicht nur möglich, sondern sogar notwendig ist, dazu braucht es keiner Pfarrer-Initiative. Kirchenkritik auf höherem Niveau findet man sogar innerhalb der Amtskirche und innerhalb der Hierarchien. Etwa beim Altbischof Helmut Krätzl („Die Glaubenskrise vieler Menschen kommt von entstellten Gottesbildern, die ihnen übermittelt wurden. Und die Kirche selbst verliert zunehmend ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie wohl einen guten und barmherzigen Gott verkündigt, aber nicht selbst Abbild von ihm ist.“), oder dem ehemaligen Kurienkardinal Walter Kasper, der recht drastisch eine Verkündigung in der Sprache der heutigen Zeit fordert: „Es gibt auch eine Häresie durch engstirnige Verweigerung, Theologe im Hier und Jetzt zu sein und Theologie als lebendige Weitergabe der Tradition zu treiben und somit den jeweiligen kairós zu verschlafen. Wer für alle Zeiten reden will, redet am Ende für keine Zeit.“

Womit Atheisten recht haben ist, dass die religiöse Diskussion heute auf einem unsäglichen Niveau abläuft: „Hier liegt bei uns vieles im Argen. Das religiöse Wissen und damit die Sprach- und Zeugnisfähigkeit der Mehrzahl der Christen ist auf einem Tiefpunkt angelangt.“ (ebenfalls Kardinal Kasper). Und Bischof Krätzl prangert das heutige Pharisäertum unter so manchen Christen an, die glauben, alle Andersgläubigen verteufeln zu müssen: „Nicht die Kenntnis des Gesetzes, nicht der Stolz auf das überlieferte Erbe äußerer Frömmigkeit rechtfertigen vor Gott, sondern die Liebe zum anderen, gerade auch zum Fremden, der hilflos ist. Manchmal sind Ungläubige, Agnostiker in ihrer sozialen Gesinnung der Botschaft Jesu näher, als ‚gute Gläubige‘, die sich ihrer selbstgewählten guten Werke rühmen.“

Die Beispiele und Zitate ließen sich endlos fortsetzen. Worum es geht, ist: bekämpft nicht die Moslems, dieChristen, die Kirche, sondern wenn ihr diskutieren wollt, dann sucht die Menschen, die dahinter stehen. Es gibt nicht nur Einfalt, sondern auch Vielfalt, und wer sich die Mühe macht, findet großartige Menschen sogar in der Kirche, sogar unter Moslems, sogar unter Fremden...

In einem Punkt können wir uns alle finden, Moslems, Christen, Religiöse, Atheisten und Agnostiker: in der Menschlichkeit. Das heißt aber auch, die Menschen zu suchen, und nicht gegen Windmühlen zu kämpfen.

 

Bildnachweis: © Dieter Poschmann / pixelio.de

 

Published on Newsgrape on 2011-07-14 07:44:31

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Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“