Unser atomistisches Weltbild

Allen heutigen Problem voraus geht ein fragmentierendes Weltbild, eine Fehlinterpretation des naturwissenschaftlichen Weltbildes.

 

Naturwissenschaft im engeren Sinne beschäftigt sich mit Materie in Raum und Zeit (ohne das damit Ausgeschlossene abzuwerten). Es ist nicht im Sinne einer seriösen Naturwissenschaft, nur das naturwissenschaftlich Erfassbare als Realität anzuerkennen und alles andere als irreal abzutun. Genau das aber ist unser heutiges Weltbild.

Nur – was uns heute so modern, postmodern oder was auch immer erscheint, ist bei genauerem Hinsehen das Weltbild des 19. Jahrhunderts! Die Entwicklung der Naturwissenschaft vor allem der Physik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird dabei völlig ignoriert. Wir glauben immer noch nur an Materielles, das, „was wir angreifen können“, während Hans-Peter Dürr, Physiker, Heisenbergnachfolger und Friedensnobelpreisträger, korrigiert: „Ich habe 50 Jahre lang, mein ganzes Forscherleben lang danach gesucht, was denn Materie sei. Die Antwort ist schlicht und einfach: Es gibt sie nicht.“ Unsere Vorstellung von Materie ist mit der Natur nicht kompatibel!

Denn während unser Alltagsleben durch das Teilchenbild der Realität (von res = Ding) bestimmt wird, ist die Wirklichkeit (das was wirkt) des Ganzen aus dieser engen Sicht verschwunden. Das unser heutiges Denken bestimmende Weltbild wurde bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (von Planck, Einstein, Bohr, Pauli, Heisenberg und vielen anderen) zertrümmert.

Dieses klassische Teilchendenken hat aber überlebt, z.B. in der Spezialisierung der Medizin, wo der Patient als „die Leber von Zimmer 6“ aufscheint, wo der Spezialist alles über „sein“ Organ weiß und wenig über die anderen. Im Berufsleben weiß eine Abteilung nicht, was die anderen machen. In der Politik wird ein Fleckerlteppich an Teillösungen produziert, die Probleme im Ganzen bleiben bestehen. Die Gesundheitspolitik arbeitet an vielen „Baustellen“, am Gesundheitssystem als Ganzem ändert das kaum etwas.

Vor allem aber halten wir eindimensional daran fest, dass nur das real ist, was wir sehen und angreifen können – und nennen das rational. Eigentlich können wir so gar nicht existieren (Dürr), denn das eigentliche Leben (das naturwissenschaftlich nicht erfasst werden kann) geht weit darüber hinaus. Die Hirnforscher sind heute fasziniert von den Neuronen und das zu Recht – Bewusstsein ist aber mehr. Naturwissenschaft ist nicht die einzige Weise menschlichen Wissens, Wissenschaft ist mehr – und menschliches Wissen noch mehr. „Wenn alle möglichen Fragen der Wissenschaft beantwortet sind, dann ist das eigentlich Menschliche noch nicht einmal berührt.“ (Wittgenstein).

Ein zeitgemäßes Weltbild?

Ein zeitgemäßes Weltbild müsste davon ausgehen, dass Wirklichkeit mehr als Realität ist, dass der Mensch sehr viel mehr ist als Mensch (David Steindl-Rast), dass alle Dimensionen menschlichen Seins zu berücksichtigen sind. Aber heute wird meist die geistige/spirituelle Dimension verdrängt, oft auch die psychisch/seelische. Verdrängung ist aber bekanntlich nie gesund.

Es geht auch nicht, das Ganze aus den Teilen zusammenzusetzen, das ergibt nur ein Puzzle von immer noch isolierten Einzelteilen. Die Schwierigkeit ist – und daran scheitert bis jetzt ein zeitgemäßes Weltbild – das Ganze als die primäre Wirklichkeit und die isolierten Teilchen als irreal oder als Gedankenexperimente zu sehen.

Bildnachweis: © Gerd Altmann / pixelio.de

 


Published on Newsgrape on 2011-04-14 13:06:27

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Kommentare: 1

Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“