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Illusion und Wirklichkeit des Einsseins

Es gibt einen uralten Spruch: „Wie oben, so unten“, und der stiftet nach wie vor heillose Verwirrung. Nicht der Satz an sich, sondern die Annahme, dass es konkret wirklich so ist. Die Gesetze oder Muster sind überall die gleichen, aber es kommt nicht überall dasselbe dabei heraus. Das heißt, dasselbe Gesetz bedeutet „oben“ et-was ganz anderes als „unten“, obwohl es das gleiche ist.

 

Klingt kompliziert, daher ein Beispiel: Esoteriker oder auch Spirituelle reden von Energie, Physiker reden auch von Energie. Das eine hat mit dem anderen zu tun, ist aber etwas ganz anderes, weil man die verschiedenen Ebenen schon nicht vermischen darf. Physik bezieht sich auf Materie, Spirituelle beziehen sich auf Geistiges. Und Esoteriker versuchen dann, das Geistige – oder was sie darunter „verstehen“ – mit physikalischen Begriffen zu erklären, und das ist Unsinn. Da hilft das „Alles ist Eins“ überhaupt nichts, wenn man nicht vorher differenziert hat und weiß, Materie ist ganz „unten“ und Geist ist ganz „oben“. Leider sind dann solche eso-terische Aussagen völlig bedeutungslos und daher auch nutzlos.

„Oben“ und „unten“ sind symbolische Begriffe, man könnte genauso gut sagen: „innen“ und „außen“. Und dann wird es deutlicher: Die Innen- und Außenseite eines Kruges gehören untrennbar zu-sammen, sonst könnten wir gar nicht von einem Krug sprechen. Trotzdem wäre es unsinnig zu sagen, innen ist gleich (dasselbe wie) außen. Auf diese Idee würde niemand Vernünftiger kommen. Aber die Alles-ist-Eins-Esoteriker machen genau das. Es ist alles das-selbe, alles eins, jegliche Differenzierung ist Illusion. Dabei ist gerade das nicht Unterscheiden die Illusion. Wir leben in der Welt, in der wir leben, und die gibt es nur dank der Dualität. Die zu leugnen hieße, sich selbst verleugnen oder sich selbst belügen.

 

Natürlich ist letztlich alles eins – vom Geistigen her gesehen, von dem diese Esoteriker aber mindestens genausoweit weg sind wie alle anderen. Du musst gar nichts tun, du musst nur die Einheit realisieren! Gut, dann mach mal! Würdest du das wirklich versuchen, könntest du erkennen, wie sehr dieser Satz eine Illusion ist in einer Welt der Dualität. Da ist die Einheit ein Ziel weit jenseits des Hori-zonts, oder tief im Innersten. Dazu muss man aber erst den Zugang haben. Diese Esoteriker behaupten aber nichts anderes als dass an der Oberfläche alles eins ist. Und das ist wirklich Illusion.

 

Von Teilchen zum Ganzen

Auch in der Physik ist auf der Ebene der Quantenfeldtheorie letztlich alles eins. Das ist das, was unserer Lebenswelt zugrunde liegt, aber für diese Welt keinerlei Bedeutung hat. Diese Welt ist nicht so, wie sie ist, weil sie aus Bestandteilen (Elementarteilchen) aufgebaut ist. Mit Bestandteilen kann man letztlich gar nichts Komplexes erklären. Das war der Trugschluss der Physiker gegen Ende des 19. Jahr-hunderts: Wir brauchen jetzt nur noch die kleinsten Bausteine der Welt finden, dann können wir die ganze Welt bis hin zum mensch-lichen Gehirn erklären. Dann entdeckte man die Elementarteilchen, aber auch, dass diese „Teilchen“ gar keine Teilchen mehr sind, sondern etwas völlig anderes. Daher sind diese Teilchen auch gar kein „Bestandteil“ von Atomen.

 

Die Frage, woraus ein Atom aufgebaut ist, hat in der Quantentheorie keinerlei Bedeutung mehr. Die Frage ist vielmehr, was passiert, wenn bestimmte Elementarteilchen zusammenkommen? Wenn ein Proton und ein Elektron zusammenkommen, entsteht ein Wasser-stoffatom. Im letzten klassischen Atommodell würde das Elektron um das Proton kreisen. Wäre das so, würde das Elektron sofort in den Kern stürzen, und es gäbe gar kein Atom und keine Welt. Die Festigkeit der Materie kann man nur mit deren Unschärfe erklären. Wenn Proton und Elektron zusammenkommen, verliert das Elektron sofort seinen Teilchencharakter und wird zur Elektronenhülle. Das Elektron ist über die ganze Atomhülle „verschmiert“ und man kann nur mehr die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es an einem Ort gemessen werden kann. Vor der Messung aber hat es gar keinen Ort.

 

Einheit, Differenz und Verbundenheit

Nun sind Elementarteilchen im menschlichen Körper dasselbe wie im Andromeda-Nebel. Was macht dann das spezifisch Menschliche aus, wenn es auf der Ebene der Elementarteilchen keinen Unter-schied zu irgendwas gibt? Wenn solche „Teilchen“ zusammen-kommen, dann nach einem bestimmten Muster, und darin steckt Information (Zeilinger). Die Information ist es, die den Unterschied macht. So betrachtet ist die große Frage: Was ist Information?

 

Auf der Ebene der Elementarteilchen ist alles eins. Auf der Ebene des Geistigen ist auch alles eins. Aber das ist bestenfalls dasselbe Muster, dasselbe Gesetz. Generell zu sagen, das ist ja alles eins, ist sinnlos. Das wäre eine schlichte Verwechslung von innen und außen. Dazwischen ist nämlich alles anders, und dieses Dazwischen ist unsere Welt. Es gibt nun mal verschiedene Dimensionen im Universum, und es bringt rein gar nichts, sie durcheinander zu bringen. Es geht nämlich auch im Spirituellen nicht darum, dass „alles eins“ ist, sondern darum, zur Erfahrung der Einheit zu kommen. Und diese Erfahrung ändert rein gar nichts an der Dualität der Welt, diese Erfahrung ist eine Sichtweise, die den Sehenden verändert, aber nicht die Welt. Das Nachplappern des „Alles ist Eins“ hat noch niemand auch nur einen Millimeter weiter gebracht.

 

Da wäre zuvor die Erfahrung der Verbundenheit: Die kreative Vielfalt der Welt ist grandios, und ich bin mit dem anderen (Menschen, Tieren, Pflanzen,… mit allem) verbunden und im Innersten eins. Dieses Einssein ist aber eine Einheit, die die Vielfalt nicht aus-, sondern einschließt. Das heißt, der andere ist als Individualität ein anderer, aber in der Verbundenheit sind wir nicht getrennt. Es bringt aber auch nichts, das zu behaupten, man muss es schon erfahren…

 

Wissenschaft und Spiritualität

Naturwissenschaft beruht auf dem, was intersubjektiv (nicht objektiv!) kommunizierbar ist – und zwar weltweit. Daher gilt Naturwissen-schaft auf der ganzen Welt, auch dort, wo die Menschen ein ganz anderes Weltbild haben. Spiritualität beruht auf individueller Er-fahrung, die nicht weltweit kommunizierbar und generalisierbar ist. Allerdings mit der Einschränkung, dass sie sehr wohl kommunizier-bar ist (es geht ja immer nur um den Menschen), aber nur zwischen Menschen, die im Prinzip dieselbe Erfahrung gemacht haben und die wissen, dass dieser Erfahrung dasselbe Muster zugrunde liegt, dieses aber eine je individuelle Ausprägung hat. Daher sind Gesetze in der Naturwissenschaft etwas anderes als Gesetze in der Spiritualität.

 

Wir kennen dieses Prinzip aber auch in der Psychologie, speziell in der Tiefenpsychologie. Die Psyche ist objektiv erfassbar bei jeweils individueller Ausprägung. Daher der naive Vorwurf an die Psycho-logie (und speziell an C. G. Jung), sie wäre nicht wissenschaftlich. Aber es gibt bei Jung allgemeine, kollektive Muster, er nennt sie Archetypen, die man beschreiben kann, die aber konkret nur als archetypische Vorstellungen mit individueller Ausprägung vor-kommen.

 

Da gilt z.B. die Reproduzierbarkeit nur sehr eingeschränkt. Anderer-seits gibt es eine exakte Reproduzierbarkeit auch in der Natur-wissenschaft nicht. Messwerte müssen mit einer gewissen Fehler-toleranz angegeben werden, weil kein Wert exakt reproduzierbar ist. In der Natur ist streng genommen nichts reproduzierbar, sondern alles ist einmalig. Die konkrete Natur kann man nicht vereinfachen, Gesetze sind aber Verallgemeinerungen und Vereinfachungen. Selbst die heilige Kuh der klassischen Physik, das Kausalitätsgesetz, wird man nirgends in der Natur finden, es ist nichts als menschliche Interpretation. Statistisch ist Kausalität nichts als sehr hohe Wahr-scheinlichkeit.

 

Einheit in der Vielfalt

 

Und wie erwähnt:

 

Auf der Ebene der Physik, der Elementarteilchen, ist alles eins, alles mit allem verbunden. Ein Wasserstoffatom in einer Niere ist dasselbe wie ein Wasserstoffatom im Andromedanebel oder am anderen Ende des Weltalls.

 

Auf der Ebene des Spirituellen ist auch alles eins und alles ver-bunden, aber auch individuell und bewusst. Aber es geht nicht um Welt, sondern um Erfahrung. Es geht nicht darum, dass ALLES EINS ist, sondern dass wir die Verbundenheit mit allem erfahren.

 

Dazwischen aber ist die Welt, in der wir leben, und das ist eine Welt der Dualität. Welt gibt es nicht ohne Dualität. Aber sie ist auch die Welt unserer Erfahrungen. Und diese Klammer (Welt – Erfahrung) kann irgendwann aus der Dualität zur Einheit, aus der Welt in die Verbundenheit führen.

 

Wer die Dualität und die Vielfalt leugnet („Es gibt nur die Einheit“), der ist von dieser Dualität gefangen, weil er/sei keinen Weg sieht/ braucht – und daher gar nicht von der Stelle kommt!

 

 

Die Einheit IN der unendlichen Vielfalt zu sehen und zu erfahren, das ist das Ziel… 

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Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“