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Emmy Noether. Ihr steiniger Weg an die Weltspitze der Mathematik

 

Als Emmy Noether (1882-1935) Mathematik studierte, war das Studium den Frauen nicht mehr verwehrt, Professorinnen durften sie aber nicht werden. Daher waren die Herren Professoren mehrheitlich dagegen, viele wahrscheinlich auch, weil sie ihnen haushoch überlegen war. Daher kennt sie noch heute kaum jemand, und ihre Verdienste um Mathematik und Physik werden nach wie vor unterschlagen.

 

Emmy Noethers Verdienste um Mathematik und Physik

Die Relativitätstheorie gilt heute als das Werk eines einzelnen Mannes: Albert Einstein. Der war zwar ein Genie, aber kein Mathematiker. Daher wandte er sich mit seinen noch ausstehenden Problemen der Allgemeinen Relativitätstheorie an den damals größten Mathematiker: David Hilbert. Der wusste um die Rolle der Mathematik in der Physik und sagte: „Die moderne Physik ist für die Physiker eigentlich viel zu schwer.“

 

Hilbert arbeitete sich ein und hätte das Rennen um die Veröffent-lichung der Allgemeinen Relativitätstheorie beinahe gewonnen. Er gab seine Theorie sogar kurz vor Einstein in Druck, nur war sein Verleger etwas langsamer als der von Einstein. Aber weit wichtiger: ohne Emmy Noether hätten es beide nicht geschafft. Denn die Theorie lieferte für beide unlösbare Widersprüche, die nur durch Lösung von jeglicher Anschaulichkeit und extreme Abstraktion zu lösen waren.

 

Hilbert lud Einstein ein, um seine Theorie vorzustellen, und witzelte später: „Jeder Straßenjunge in unserem mathematischen Göttingen versteht mehr von der vierdimensionalen Geometrie als Einstein.“ Er musste aber zugeben, dass er mit den Problemen der Theorie auch nicht zurande kam. Hilbert löste einen Teil der mathematischen Probleme in einem noch nie dagewesener Abstraktionsgrad – für den wichtigsten Teil dieser Lösung – den sogenannten Invarianzen – musste er allerdings die Hilfe von Emmy Noether in Anspruch nehmen, die damals die einzige Person war, die umfangreiche Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte. Und die mit mathematischen Abstraktionen weit virtuoser umging als ihre berühmten männlichen Kollegen.

 

Die Frau als Turbo für die Männerwelt

Aber sie war – weil Frau – wieder nur als Hilfskraft an der Uni Göttingen, der Hochburg der Mathematik, angestellt und leistete ihre unbezahlbaren Arbeiten ohne Bezahlung! Dabei hielt sie sogar zeitweise die Vorlesungen für Hilbert, dem damals berühmtesten Mathematiker. Ihre Leistungen wurden von der Fachwelt auch anerkannt, aber niemand von den Herren hielt es für opportun, ihre Verdienste öffentlich auch nur zu erwähnen. Soviel zur emotionalen Intelligenz der universitären Eliten!

 

Den Nobelpreis für Physik gibt es bereits seit 1901. Diesen hätte Emmy Noether mehr als verdient, doch wurde der Wert ihrer Arbeit von 1918 erst weit nach ihrem Tod als fundamental bedeutend erkannt.

 

Die Mathematik hatte sich in diesen Jahren als Fundament aller Wissenschaften etabliert. Und alle Wissenschaften machten nach 1900 einen völligen Umbruch durch.  Die Gelehrten des 19. Jahr-hunderts stießen auf innere Widersprüche, die das gesamte, als absolut sicher geglaubte Grundgerüst der Mathematik in Frage stellten. Dieses Schicksal teilte die Mathematik mit der Physik, der Chemie und der Biologie, denn in den Jahrzehnten um 1900 verloren in einem weltgeschichtlich einmaligen Prozess ausnahmslos alle Naturwissenschaften den Boden unter ihren Füßen und mussten sich – jede für sich – von Grund auf neu erfinden.

 

Emmy Noether ist eine der zentralen Figuren in dieser kompletten Neuausrichtung der Mathematik. Ihre Leistungen stehen mindestens gleichberechtigt neben denen der berühmtesten Mathematiker ihrer Zeit: David Hilbert und John von Neumann. Da sie die Einführung der höheren Abstraktion entscheidend vorantrieb, ist Emmy Noether in der Mathematik eine der einflussreichsten Personen aller Zeiten. Geradezu nebenbei löste sie auch ein zentrales Problem der modernen Physik und machte so den Weg frei für das heutige Verständnis der Quantentheorie: Das „Noether-Theorem“ ist eines der bedeutendsten Prinzipien der theoretischen Physik.

 

Nach ihrem frühen Tod 1935 lebte Emmy Noethers Mathematik weiter, ihre Erkenntnisse haben die Mathematik revolutioniert und gehören heute zu den Grundlagen aller naturwissenschaftlichen Bereiche. Doch ihre Person geriet in Vergessenheit.

Erst in den letzten Jahren erinnert man sich wieder an den von Entbehrungen und Zurücksetzungen gekennzeichneten Lebensweg Emmy Noethers: in Form von Stipendien und anderen Fördermaß-nahmen, die ihren Namen tragen, um die wissenschaftliche Karriere von Frauen zu unterstützen.

 

 

Lars Jaeger

EMMY NOETHER. Ihr steiniger Weg an die Weltspitze der Mathematik

Biografie. Südverlag 2022, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

EUR 22,00

 

ISBN 978-3-87800-161-4

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Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“